Markus Hörings Werk bildet als dritter und längster Satz den Mittelpunkt der Kantate. Anders als in früheren Werken orientierte Höring sich nicht an einem bestimmten Epochenstil oder historischen Komponisten, was man vom Titel her schließen könnte, sondern ließ sich ganz und gar von den vorgeschriebenen Details inspirieren. Als einziger der sechs Komponisten erhielt Höring den Vers eines Hölderlin-Gedichtes von den Auftraggebern, mit der Bitte, diesen in sein Stück einzubauen. Dazu kam natürlich noch das CORONA-Motiv, welches Phillip Amelung nach einer Idee Markus Hörings entwickelte. Aus der äolischen Gestalt des Motivs leitete Höring die Tonart a-Moll ab und empfand einen Variationensatz mit dem Motiv als eine Art Cantus Firmus am naheliegendsten, in Umkehrungen, Verkürzungen oder akkordisch findet man es fast überall. Die Rahmenbedingungen von Streichquartett und vierstimmigen Chor reizte Höring vollkommen aus und spaltet die Gesangsstimmen in Vierfache auf, sodass teilweise 16 Gesangsstimmen unabhängig agieren.
Die Passacaglia pandemica kann durchaus ohne den Kontext der Kantate als eigenständiges Werk gesehen und gespielt werden. Wie der Titel bereits preisgibt dreht sich das Werk um die Form eine Passacaglia, eine Variationsform des -Barock. Als Eröffnung dient eine instrumentale Overtura, an welche die 12 Varia-tionen zum CORONA-Motiv anschließen. Hier steigt der Chor mit ein. Der Beititel der Passacaglia lautet „Patmos“, der Titel des Hölderlin-Gedichtes aus welchem der gewünschte Vers stammt. Höring ergänzte einen Großteil des Gedichtes, auch aus teils unfertigen Skizzen Hölderlins. Die letzten Verse liegen außerhalb der Variationen, im Nachfolgenden Finale und Canone doppio e Corale. Als Abschluss des Stückes dient der Corale luterano „Nun danket alle Gott“.
Overtra
Die Bratsche spielt das Motiv von CORONA und leitet in das Stück ein. Dann setzten alle weiteren Instrumente ein: Ein Akkord aus den bereits gehörten Tönen und ein Auftakt zu einer vielfältigen Variation des vorgestellten Motives. In Wechselspielen und gegeneinander rhythmisierten Passagen nimmt sich die Overtura vielfältig Chromatisch aus. Erste Motive werden etabliert und in späteren Abschnitten der Passacaglia wieder aufgenommen. Eine Reihe von Wechseln in Taktart und Schnelligkeit geben dem Instrumentalstück ein unruhiges Erscheinungsbild, gemeinsam mit durchlaufender, Tonarten auflösender Chromatik ein gar avantgardistisches Gesicht. Mittig in der Overtura findet sich ein Abschnitt, der durch eine rhythmisch homophone Variation des CORONA-Motivs gekennzeichnet ist. Danach ordnet sich das Notenbild und bildet einen spannungsvollen Übergang zur Passacaglia.
Passacaglia „Patmos“
Erneut erklingt das CORONA-Motiv, homophon in den Streichern. Der Chor setzt ein mit der ersten Zeile aus Hölderlins Feder. Einige Zeilen des Gedichtes stammen aus früheren Skizzen Hölderlins, die nur in den nicht veröffentlichten Versionen von Patmos vorkommen. Besonders auffällig ist die Zuspitzung der Gegenüberstellung von Antike und Christentum in der absurd erscheinenden Deklination von „Johannes, Christus, Herkules“ (ab Var. III). Hölderlin entfernte die Zeile für das finale Gedicht, doch Höring entschied sich, gerade diese Spannung beizubehalten und über mehrere Variationen unterschwellig beizubehalten. In der VIII. Variation wurde schließlich der gewünschte Textabschnitt vertont: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“. Diese, geradezu auf die Situation der Corona-Pandemie zugeschriebene Zeile aus der VIII. Varia-tion lässt sich auch in der Gesamtgestaltung des Werkes wiedererkennen. Über die Passacaglia nimmt eine Harmonie im klassischen Sinne stetig zu. Auch Sie endet mit dem CORONA-Motiv, unverändert und schlicht in der ersten Violine am Schluss der XII. Variation.
Finale und Canone doppio e Corale
In einem kurzen, nicht instrumentierten Intermezzo (Finale) wird choralartig zum folgenden Canon übergeleitet. Der Canon wird Stimme für Stimme zum 16-stimmigen Chor ergänzt, während die Streicher gemeinsam einem schneller werdenden, gleichmäßigen Rhythmus folgen. In Fortissimo beschließt der Chor den Abschnitt mit den Worten “Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“.
Corale luterano
Markus Höring wählte als letzten Part seines Werks den Luther-Choral „Nun danket alle Gott“ und setzte ihn etwas differenzierter aus. Die Streicher doppeln hierbei die Gesangsstimmen. Der in die Länge gezogene Schluss wird von der ersten Violine durchbrochen, die abschließend in den Akkord das CORONA–Motiv hineinspielt. Der Letzte Ton, das „A“ des Motivs, ist hierbei nicht eine -Oktave nach unten, sondern nach oben gesetzt. Eine Frage oder eine Vermutung, jedenfalls ein Unschluss, der darauf hindeutet, dass die Pandemie an dieser Stelle noch nicht vorbei sein sollte.
Variation Hölderlin: Patmos
I
Nah ist und schwer zu fassen der Gott
II
Wie Feuer sind stimmen Gottes
III
Diesem möchte ich singen, gleich dem Herkules
Johannes, Christus, Herkules
IV
Gleich dem Herkules
Johannes, Christus, Herkules
V
Nah ist und schwer zu fassen der Gott
VI
Wie Morgenluft sind nämlich die Namen seit -Christus werden Träume
VII
Voll Güt ist keiner aber fasset allein Gott
VIII
Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch
IX
Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch
X
Im Finstern wohnen die Adler und furchtlos gehen die Söhne der Alpen über den Abgrund weg
XI
Auf Licht gebauten Brücken
XII
(Instrumental)
Finale
Fittichte gib uns treuesten Sinn
Canone doppio e Corale
Hinüberzugehen und wiederzukehren
Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch
Texte
Auszüge aus „Patmos“ (1803), des 1808 veröffentlichten Erstdrucks,
sowie zu Hölderlins Lebzeiten nicht veröffentlichter Manuskriptpassagen.
Nah ist und schwer zu fassen der Gott.
Wie Feuer sind Stimmen Gottes.
Johannes. Christus.
Diesen möchte ich singen, gleich dem Herkules.
Wie Morgenluft sind nämlich die Namen seit Christus. Werden Träume.
Voll Güt ist; keiner aber fasset allein Gott.
Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.
Im Finstern wohnen die Adler, und furchtlos gehn
die Söhne der Alpen über den Abgrund weg
Auf leichtgebaueten Brücken.
O Fittiche gib uns, treuesten Sinns
Hinüberzugehen und wiederzukehren.
Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.
Text von Friedrich Hölderlin (1770-1843)
Choral
Nun dancket alle Gott
Mit Hertzen Mund vnd Händen
Der grosse Dinge thut
An vns vnd aller Enden
Der vns von Mutter Leib
Vnd Kindes Beinen an
Vnzehlig viel zu gut
Vnd noch jetzund gethan.
(Text von Martin Rinckard, 1636)